Der vergessene Aufstand in Bahrain

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Neue Zürcher Zeitung, 17. September 2011

Der Aufstand in Bahrain droht in Vergessenheit zu geraten. Die einst geeinte Opposition ist gespalten. Das Regime versucht mit Öffentlichkeitsarbeit, die internationale Meinung zu beeinflussen. Ein Ende der schwelenden Krise ist nicht absehbar.

Acht Monate nach dem Ausbruch der politischen und sozialen Unruhen in Bahrain haben sich die unterschiedlichen Interpretationen der Krise gefestigt. Mitglieder der Königsfamilie, Chefbeamte sowie ein beachtlicher Teil der sunnitischen Bevölkerungsminderheit behaupten, Bahrain vor einer Machtübernahme der Schiiten, die Iran in die Hände gespielt hätte, bewahrt zu haben. Sie nehmen Bezug auf die Toten und Verletzten unter den Sicherheitskräften und asiatischen Arbeitsmigranten und betonen, die Krise müsse mit harter Hand beendet werden. Der im Juli abgehaltene Nationale Dialog habe eine Mehrheit der Bevölkerung zufriedengestellt. Von der Regierung beauftragte PR-Firmen in Washington und anderen Hauptstädten sind damit beschäftigt, diese Version der Ereignisse international zu verbreiten.

Eine neue Allianz

Eine bisher wenig beachtete Konsequenz des Aufstands ist eine neue Allianz zwischen dem Regime und den sunnitischen islamistischen Gruppierungen wie den bahrainischen Ablegern der Salafisten und der Muslimbrüder. Diese haben in den letzten Monaten sehr viel Raum in bahrainischen Medien erhalten und werden in Zukunft eine gewichtige Rolle im Inselstaat einnehmen. Dass dies längerfristig eine Islamisierung des bisher im regionalen Vergleich liberalen öffentlichen Lebens und eine Annäherung an Saudiarabien zur Folge haben könnte, wollen viele Unterstützer des Regimes nicht wahrhaben.

Von Schiiten, aber auch von weltoffenen Sunniten hört man eine gänzlich andere Version. Eine, in der von unterirdischen Folterkammern, nächtlichen Angriffen vermummter Schergen des Regimes und Verleumdungen die Rede ist. Zwischen März, als saudische Truppen zusammen mit Sicherheitskräften anderer Golfstaaten in Bahrain einmarschierten und der Aufstand blutig niedergeschlagen wurde, und Juni, als der Ausnahmezustand aufgehoben wurde, waren die Schiiten und regierungskritische Sunniten Opfer massiver Vergeltung. Zu dieser Zeit wagten kritische Journalisten, Ärzte, Akademiker, Oppositionelle oder Parlamentarier nicht mehr, öffentlich aufzutreten, geschweige denn, mit Ausländern über die Lage in Bahrain zu sprechen. Während des Nationalen Dialoges im Juli entspannte sich die Lage ein wenig. Dieser Dialog hätte denn auch zu einem Neubeginn und einer allmählichen Versöhnung zwischen den Bevölkerungsgruppen führen können, wäre er nicht so einseitig regimefreundlich und zahnlos gewesen. Die grösste schiitische Oppositionspartei, al-Wifak, die zuerst unter westlichem diplomatischem Druck am Dialog teilnahm, zog sich bald von den Gesprächen zurück.

Boykott und Radikalisierung

Al-Wifak hatte im letzten Parlament 18 von 40 Sitzen innegehabt. Laut ihren Aussagen hätte die Partei die Mehrheit der Sitze erringen können, wenn die Wahlkreise den demografischen Umständen besser angepasst gewesen wären. Die 18 Wifak-Abgeordneten reichten nach der Niederschlagung der Protestbewegung im März ihren Rücktritt ein. Die Partei kündigte kürzlich an, dass sie die Ersatzwahlen für ihre 18 Sitze Ende September boykottieren werde. Damit hat sich der einzige ernstzunehmende schiitische Akteur, der noch bereit war, im politischen System Bahrains unter der Dynastie der Al Khalifa mitzuwirken, von diesem verabschiedet und setzt nun wieder auf Strassenproteste. Dies ist eine gefährliche Entwicklung, welche die zukünftige Stabilität Bahrains ungewiss erscheinen lässt. Al-Wifak war wegen der Partizipation im politischen Prozess von vielen Schiiten heftig kritisiert worden.

Illegale Gruppierungen wie al-Haq und al-Wafa, deren Anführer mittlerweile zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind, im Februar aber bei den Demonstrationen auf dem Perlenplatz noch eine zentrale Rolle spielten, sind al-Wifak spinnefeind. Da sich diese Gruppierungen nie an Wahlen beteiligt haben, ist es schwierig, ihre Popularität zu messen. Der Boykott von Wifak kann auch auf den Druck dieser Gruppierungen und der schiitischen Strasse zurückgeführt werden. Zwar hat ein schiitischer Kleriker, Mohsen al-Asfur, die Gründung einer neuen regierungsfreundlichen Partei angekündigt. Obwohl aus seiner Familie einige der historisch wichtigsten Kleriker Bahrains stammen, die oft als Richter amtierten, wird diese Partei in der schiitischen Bevölkerung aber nur mit minimaler Unterstützung rechnen können.Es sieht also alles nach einer Rückkehr zu den Strassenprotesten der 1990er Jahre aus, als Bahrain eine blutige Intifada erlebte. Diese wurde mit dem Amtsantritt von König Hamad, dem von ihm initiierten zögerlichen Reformprozess und der Gründung von al-Wifak beendet. Zudem gibt es eine neue Generation von Exil-Aktivisten, die Bahrain kurz vor oder zu Beginn der Repression im März verlassen haben und nun in Beirut, Kairo oder London oppositionelle Fernsehsender und Websites betreiben. Der Tod eines 14-jährigen Jugendlichen am 31. August bei einer Demonstration in Sitra und der Hungerstreik von inhaftierten Ärzten sind Anzeichen für eine erneute Eskalation.

Schweigen des Westens

Der einzige Lichtblick schien eine Kommission zu sein, welche die Niederschlagung der Proteste im Februar und März untersuchen sollte. Sie wird zwar von Cherif Bassiouni, einem Spezialisten für internationale Kriegsverbrechen, geleitet, doch ist sie dem König unterstellt und wird daher von der offiziellen bahrainischen Nachrichtenagentur als Königliche Unabhängige Kommission bezeichnet. Bassiouni und sein hochkarätiges Team wollten alle Seiten befragen und sollen im Oktober einen Bericht und Vorschläge einreichen. Der Vorsitzende der Kommission diskreditierte sich aber durch unvorsichtige Medienauftritte. In verschiedenen Interviews gab er zu verstehen, die Gewalt gegen Demonstranten, die über zwei Dutzend Todesopfer zur Folge hatte, sei auf das Fehlverhalten einzelner Sicherheitskräfte zurückzuführen. Es habe sich nicht um eine verordnete und koordinierte Strategie gehandelt.

Nach dieser Äusserung stürmten einige hundert Demonstranten das Büro der Kommission in Manama. Seither ist das Gremium völlig isoliert. Im Unterschied zu Libyen oder Syrien halten sich westliche Regierungen mit Kritik gegenüber dem Regime in Bahrain sehr zurück. Der Hauptgrund dafür sind strategische Interessen und diplomatischer Druck vor allem aus Saudiarabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Amerikanische Zeitungen berichteten kürzlich, Bahrain und die Vereinigten Staaten hätten ihr Abkommen über den Stützpunkt der amerikanischen Fünften Flotte in Bahrain, welches im Oktober auslaufen sollte, im Jahr 2002 insgeheim bis 2016 verlängert. Zudem wurde bekannt, dass Bahrain mit der technologischen Hilfe westlicher Informatikfirmen Informationen über Oppositionelle und Menschenrechtsaktivisten sammelt. Die Staaten des Golfkooperationsrats, deren Truppen noch immer in Bahrain stationiert sind, werden auch weiterhin vom Westen aufgerüstet.